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Zu Höherem berufen – Was der Millionär Rainer Gläß mit dem Fichtelberg vorhat

Der Millionär Rainer Gläß will den Fichtelberg kaufen. Nicht als Investor, wie er betont, sondern als Entwicklungshelfer. Doch ist Oberwiesenthal bereit für den Neustart?

Lesedauer: 7 Minuten

Man sieht Millionär Rainer Gläß
Blick in die Zukunft eines Wintersportortes: Rainer Gläß sagt, er sei nicht nach Oberwiesenthal gekommen, um noch reicher zu werden. Er wolle Aufbruchstimmung verbreiten. Quelle: Thomas Kretschel

Henry Berndt

Oberwiesenthal. Einmal geht noch. Durch die Fenster der Schwebebahn sieht man Väter und Mütter, die ihren Nachwuchs tapfer auf dem Schlitten den Berg hochziehen. Der Zauberteppich auf der anderen Seite des Seils ist noch geschlossen. Beim Start der Bahn an der Bergstation dudelt die Melodie von „Das Wandern ist des Müllers Lust“. Der Schaffner verdreht die Augen. „Ich kann es nicht mehr hören“, sagt er, „aber der Code ist nicht mehr auffindbar, und wir können das nicht mehr umstellen.“ Eine ziemlich betrunkene Gruppe mittelalter Berliner mit roten Wangen summt fröhlich mit.

Konkurs, Zwangsversteigerung, Stillstand, Demontage

Die 1924 gebaute Seilschwebebahn ist die älteste ihrer Art in Deutschland und das Wahrzeichen von Oberwiesenthal. In ihrer hundertjährigen Geschichte hat sie schon einiges mitgemacht. Konkurs, Zwangsversteigerung, Stillstand, Demontage. Irgendwas und irgendjemand hat die Bahn immer wieder nach oben gezogen.

Mit der Wende wurde der VEB Fichtelberg-Schwebebahn in eine GmbH in Besitz der Stadt umgewandelt. 2010 beschloss der Stadtrat zunächst den Bau einer komplett neuen Anlage, doch der Plan scheiterte am Geld und am Widerstand der Bürger, die ihre „alte Dame“ behalten wollten. Ein Jahr später entschied man sich doch für die Sanierung.

Die historische Schwebebahn in Oberwiesenthal hat in ihrer hundertjährigen Geschichte schon viel erlebt. Bald wird sie den Besitzer wechseln.
Quelle: Jan Woitas/dpa

Schon seit 1999 rotiert gleich nebenan ein Vierersessellift am Hang, betrieben von der privaten LGO Liftgesellschaft mbH. Geschäftsführer ist Constantin Gläß, einer der Söhne von Rainer Gläß, einem Geschäftsmann aus dem Vogtland. Einem ziemlich erfolgreichen.

Nach einem Informatikstudium an der TU Dresden gründet Rainer Gläß, Jahrgang 1959, nach der Wiedervereinigung mit einem Partner die G&K Datensysteme GmbH. Sie ist spezialisiert auf Software-Lösungen für große Einzelhandelsunternehmen. Die heute mehr als 1.200 Mitarbeiter arbeiten an sechzehn Standorten, unter anderem in den USA, Südafrika und Singapur. Gesamtumsatz 2023: 172,5 Millionen Euro.

Neues Unternehmen wird bereits aufgebaut

Diese erstaunliche Entwicklung bleibt nicht unbemerkt. 2018 wird Gläß als Sachsens Unternehmer des Jahres ausgezeichnet. Im selben Jahr erhält er das Bundesverdienstkreuz. 2023 entscheidet er sich, seine Anteile an den japanischen Konzern Fujitsu zu verkaufen. Zeit für den Ruhestand also? Mitnichten. In seiner Heimatstadt Schöneck baut er bereits eine neue Softwarefirma auf, die bereits wieder 70 Mitarbeiter hat. Ach ja, und nebenbei will er noch das Skigebiet der höchstgelegenen Stadt Deutschlands retten.

Ganz aus dem Nichts kommt die Idee nicht. Mit Oberwiesenthal fühlt sich die Familie schon seit drei Generationen verbunden. Vater Siegfried Gläß erfand die erzgebirgische Kammloipe, Sohn Rainer arbeitete 1982 als Skilehrer am Fichtelberg und seine Söhne fuhren dort schon Skirennen für den Skiclub Schöneck.

Rainer Gläß hat mit seinem Softwareunternehmen Millionen gemacht. Nun will er Oberwiesenthal nach vorn bringen.
Quelle: Thomas Kretschel

An diesem Vormittag Mitte November sitzt Rainer Gläß an einem der großen runden Tische im hoteleigenen Gourmetrestaurant auf dem Fichtelberg. Draußen ist es weiß, aber grau und ungemütlich. Schneegriesel peitscht über die Kuppe. Das Thermometer zeigt minus fünf Grad.

Die ersten Schneekanonen laufen schon. Auch Pistenfahrzeuge sind unterwegs. Bis die Saison starten kann, wird es aber noch eine Weile dauern. Bis dahin hält sich der Andrang in Grenzen. Zwei Skifahrer stapfen den Hang hoch, die Gesichter mit Schal und Mütze vermummt.

Geheimtreffen mit Jens Weißflog

Gläß ist nicht zufällig vor Ort. Von einem Geheimtreffen ist die Rede, das für diesen Tag angesetzt gewesen sei. Auch der frühere Skispringer Jens Weißflog, der ein eigenes Hotel in Oberwiesenthal betreibt, wurde gesichtet. Bevor sich Gläß nach dem Treffen wieder auf den Weg nach Hause macht, nimmt er sich Zeit für ein paar Fragen. Die großen Fragen, wohlgemerkt. Ob das Hotel gerade gut ausgelastet ist oder ob die Seilbahn fährt, das weiß er nicht und verweist auf seinen Sohn.

Nach 20 Jahren hatten die letzten Pächter den Hotelbetrieb im Fichtelberghaus 2022 aufgegeben. Leerstand drohte, doch Familie Gläß sprang mit ihrer LGO Liftgesellschaft kurzfristig ein. Nur zwei Wochen blieb das Hotel geschlossen. Seitdem werden hier wieder Gäste empfangen.

Rainer Gläß könnte sich gut vorstellen, das in die Jahre gekommene Haus mittelfristig wieder zu einer der ersten Adressen im Land zu machen, einem Vier-Sterne-Hotel mit Wellnessoase. Allerdings nicht als Pächter. Deswegen will er das Hotel lieber heute als morgen erwerben, und mit ihm das Grundstück.

Inzwischen herrscht dringender Handlungsbedarf

Bis zur Schlagzeile „Millionär will Fichtelberg kaufen“ war es da nicht weit. Vor zwei Jahren ließ sich der klamme Landkreis Erzgebirge nur auf einen Pachtvertrag ein – doch inzwischen herrscht dringender Sanierungsbedarf. Ein Verkauf ist daher wohl nur eine Frage der Zeit.

Einmalige Einnahmen, die Fakten für Jahrzehnte schaffen? Das mag sich längst nicht jeder vorstellen. Stellvertretend für die kritischen Stimmen fragte zuletzt Sachsens langjähriger Linken-Chef Rico Gebhardt: „Wann wird der Fichtelberg in Gläßberg umbenannt?“ Er halte es für unverantwortlich, sich in die Abhängigkeit von einer einzigen Familie zu begeben. „Der höchste Berg im Freistaat Sachsen gehört nicht in private Hände, sondern in das Eigentum des Freistaates Sachsen.“

Wie viel Fichtelberg bleibt in öffentlicher Hand?

Noch im Sommer hatte sich auch Oberwiesenthals Bürgermeister Jens Benedict demonstrativ gegen die Verkaufspläne des Landkreises gestellt. „Für die Stadt und insbesondere für die Einwohner ist der gewählte Weg ein falscher und potenziell gefährlicher Weg“, warnte er. Einige Monate später hört sich das schon anders an. Nun ist nur noch davon die Rede, eine kleinere Fläche auf der Kuppe rings um die Friedensglocke in öffentlicher Hand zu behalten. Mehr oder weniger symbolisch.

Deutlich weiter gediehen sind die Pläne für den Verkauf der Schwebebahn mitsamt den übrigen Liftanlagen. Im November stimmte der Stadtrat von Oberwiesenthal nach langen Debatten für die Übernahme durch Gläß. Elf Stadträte votierten dafür, nur zwei dagegen. Während über den Preis noch verhandelt wird – im Raum steht ein kleinerer Millionenbetrag – ist der Kauf ausdrücklich mit keinen Auflagen verbunden. Die Stadt muss Gläß also vertrauen. Und sie tut es. Immerhin habe der Geschäftsmann bisher immer zu seinem Wort gestanden und nirgends ein Projekt auf halbem Wege sich selbst überlassen.

Auf meiner Schulter lastet gerade sehr viel, aber wir haben keine andere Option.

Jens Benedict, Bürgermeister von Oberwiesenthal

„Vertrauen“, das ist eines der Wörter, über die Rainer Gläß gern spricht. Niemand solle ernsthaft glauben, dass er sich hier am Fichtelberg engagiere, um weitere Millionen zu scheffeln. Diese Vorstellung sei wahnwitzig. „Ich komme nicht als Investor, sondern als Entwicklungshelfer.“ Das sei ein riesengroßes Missverständnis.

Nur einen Berg zu haben, auf dem im Winter etwas Schnee liegt, das reiche nicht mehr aus, sagt Gläß. Man müsse ein Freizeiterlebnis für das ganze Jahr schaffen. „Erst dann kommen die Menschen, nicht andersherum.“ Familien in Dresden müssten am Frühstückstisch sitzen und sich sagen: „Lasst uns heute mal nach Oberwiesenthal fahren.“

Auf dem Fichtelberg hat bereits der Winter Einzug gehalten. Bislang verkaufe sich Oberwiesenthal mit diesem Schatz unter Wert, glaubt Gläß.
Quelle: Thomas Kretschel

Bislang verkaufe sich der Berg klar unter Wert, findet Gläß. Er wolle das ändern, ohne dabei alles Bestehende über den Haufen zu werfen. „Wenn es die nötige Aufbruchstimmung gibt, können wir uns Schritt für Schritt auf den Weg machen.“

Mit dem Kauf der Schwebebahn wird seine LGO Liftgesellschaft künftig fast den gesamten Betrieb am Berg in ihrer Hand haben. Neben dem Vierersessellift hatte das Unternehmen zuletzt bereits den „Jump & Slide Park“ mit Reifenrutsche und der längsten Flyline der Welt sowie den „O‘thal Coaster“ in Betrieb genommen, eine Allwetterrodelbahn auf Schienen.

Nur die klassische Sommerrodelbahn in direkter Nachbarschaft bleibt im Besitz einer anderen Familie, die die jüngsten Entwicklungen am Berg kritisch begleitet. „Die Vision und den Mut zu haben, in ein Skigebiet zu investieren, das in die Jahre gekommen ist, ist der Familie Gläß hoch anzurechnen“, sagt Katrin Heinrich. Dass nun ausgerechnet eine Rodelbahn neben eine andere gebaut werden musste, bereitet ihr dagegen immer noch Kummer. „Der O‘thal Coaster hat den Anblick des Berges nicht verschönert“, sagt sie. „Man kann auch nicht von einer Erweiterung des Angebotes sprechen. Ein breiter aufgestelltes Angebot hätte ich befürwortet.“ Seit der Eröffnung des Coasters seien die Umsätze ihrer Sommerrodelbahn merklich zurückgegangen.

Konzept „Restart Oberwiesenthal“

Konkurrenz belebt also nicht immer das Geschäft, doch Rainer Gläß denkt an das große Ganze. Wenn ohne seine Millionen künftig immer weniger Menschen nach Oberwiesenthal kämen, so seine Argumentation, dann würde auch Familie Heinrich in die Röhre gucken.

Seine Pläne am Fichtelberg hat Gläß unter der Überschrift „Restart Oberwiesenthal“ zusammengefasst. Entstehen soll ein „Juwel für den Tourismus- und Wirtschaftsstandort Sachsen“, verbunden mit der „Zukunftssicherung des Standortes“, einem „deutlichen Imagegewinn“ – und nicht zuletzt mit neuen Arbeitsplätzen.

So ist es in einer Powerpoint-Präsentation nachzulesen, die aus dem Mai 2022 stammt. Rund 70 Millionen Euro sollten nach damaligen Plänen investiert werden, unter anderem in neue Pisten und Lifte, Beschneiungsanlagen, ein Logistikzentrum und eine Multifunktionsarena samt Parkhaus. Der in der Präsentation anvisierte Zeitplan war etwas ambitioniert, doch wichtig ist für Gläß das Signal: Es geht voran in und für Oberwiesenthal.

Zuspruch und Kritik aus dem Ort

Katrin Heinrich kritisiert, dass das Konzept „Restart Oberwiesenthal“ vor der Entscheidung über den Verkauf der Schwebebahn nicht öffentlich gemacht worden sei. „Ein Restart in Form eines nachhaltigen Ganzjahrestourismus ist notwendig“, sagt sie. „Hier müssen aber alle Seiten nonstop transparent informiert werden.“

Genau das verspricht Bürgermeister Jens Benedict, der Mann, der seit drei Jahren an der Spitze der Stadtverwaltung steht und sich selbst als Teil des Neustarts sieht. „Wir wollen uns weiterentwickeln, um konkurrenzfähig zu bleiben“, sagt der 38-Jährige. Dafür sei Geld nötig. Privates Geld. „Wir haben hier jemanden, der wintersportaffin ist, im weitesten Sinne aus der Region kommt und bereit ist, die nötigen Investitionen zu leisten.“ Dass all das im richtigen Moment zusammenkommt, dürfe niemand als selbstverständlich ansehen.

Der Nachholbedarf im Ort sei groß. Vor allem zwischen 1999 bis 2010 habe man es versäumt, ein paar wichtige Pfeiler einzuschlagen, und sei deswegen heute strukturell in einigen Punkten ungünstig aufgestellt. Die FSB GmbH ist als hundertprozentige Tochter der Stadt nicht förderfähig. Einen Lift für 20 Millionen Euro zu bauen, sei unter diesen Umständen nicht realisierbar.

Bereits im November waren auf dem Fichtelberg die Pistenfahrzeuge unterwegs. Bis zum Saisonstart dauert es aber noch eine Weile.
Quelle: SZ/Henry Berndt

In letzter Zeit sei Oberwiesenthal vom tschechischen Nachbarn am Keilberg abgehängt worden. Am Klínovec gibt es bereits einen Trailpark für Mountainbiker, neue Pisten und moderne Sessellifte.

Nach dem grundsätzlichen Ja zum Verkauf der Schwebebahn haben nun in Oberwiesenthal die konkreten Verkaufsverhandlungen begonnen. Gläß drückt aufs Tempo, aber bis das komplizierte Vertragswerk aufgesetzt ist, werden wohl noch Monate vergehen. Bis dahin soll sich für die Besucher in Oberwiesenthal nichts ändern. Ziel sei es, sagt Benedict, bis zum März einen Vertrag vorliegen zu haben, über den der Stadtrat abstimmen kann.

In einem sind sich alle einig: Ein „toter“ Fichtelberg ohne Lifte und ohne Hotel auf Sachsens höchstem Punkt wäre eine Katastrophe. „Glauben Sie mir, das alles fällt mir nicht leicht“, sagt Benedict. „Auf meiner Schulter lastet gerade sehr viel, aber wir haben keine andere Option.“

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